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Mal wieder fünf vor zwölf? – Projektarbeit braucht die 3D-Perspektive

Projekt-Coaching mit der Mental Space Psychology

Von Ekkehart Padberg

Sandra verzweifelt regelmäßig an ihrem Kollegen Peter: Während die 38-jährige Softwareingenieurin bereits eine Woche vor dem Abgabetermin eines wichtigen Kundenprojektes ihren Teil der Teamarbeit geleistet hat, liefert Peter B. erst am letzten Tag notwendige Daten und ist dabei völlig entspannt. „Er kann einfach nicht verstehen, wie sehr mich sein Verhalten unter Stress setzt“, hebt sie hervor. Für den 33-jährigen IT-Spezialisten dagegen bleibt es ein Rätsel „wie Sandra sich schon Tage vor der Abgabe verrückt macht.“

Ein Projekt und zwei sehr unterschiedliche Konzepte für den alltäglichen Umgang mit Zeit und räumlichem Erleben wie sich gleich zu Beginn des Projektcoachings zeigte. 

In unseren Team- und Einzelcoachings erleben wir häufig Beispiele wie die von Sandra und Peter sowie Coachees, die generell Probleme damit haben, ihre privaten oder beruflichen Ziele zu erreichen: Sie klagen darüber, schon in der Planungsphase nur „Nebel“ zu sehen oder wie vor „einer Wand zu stehen“, sich ständig „getrieben zu fühlen“, das „Hier und Jetzt“ nicht genießen zu können oder „einfach nicht in die Gänge“ zu kommen. Sehr unterschiedliche Fälle, doch was die Beispiele miteinander verbindet, ist das Erleben bzw. die innere Repräsentation von Zeit.

Zeit ist ein mental-räumliches Konzept. Jede und jeder von uns erlebt und repräsentiert Zeit auf eine unterschiedliche und höchst individuelle Weise: Ob wir das Gefühl haben, „noch jede Menge Zeit“ zum Abschluss eines beruflichen oder privaten Projektes zu haben oder den Eindruck „mir läuft die Zeit davon“. Ob jemand „die Vergangenheit hinter sich lassen kann“ oder immer wieder von bestimmten traumatischen Geschehnissen in der Gegenwart „eingeholt“ wird – all dies hat mit dem jeweiligen mental-räumlichen Erleben zu tun. Erforscht hat dies der niederländische Wissenschaftler und Sozialpsychologe und -Therapeut Dr. Lucas Derks mit seinem Werk „Mental Space Psychology“ [1]

Lucas Derks weist darin anschaulich nach: Der Mensch ist Raum. Unser Körper ist dreidimensional, unsere Organe, unser Nervensystem sowie unser Gehirn sind dreidimensional aufgebaut. Genauso sind auch unsere Erinnerungen neurobiologisch in 3-D hinterlegt, unsere Träume sind es und auch unser Zeitempfinden, wie die oben genannten Ausdrücke zeigen. Früher wurden solche Äußerungen gerne als reine „Sprüche“ abgetan. Lucas Derks hat mit seiner Arbeit gezeigt, wie stark diese sprachlichen Metaphern unser tatsächliches Erleben prägen.

Zeit ist ein mental-räumliches Konzept

Alle Wahrnehmung braucht Raum. Und räumliche Phänomene bestimmen unseren Alltag. Sei es, dass wir das wir physisch neue Räume betreten und sehr schnell merken, ob wir uns dort wohlfühlen oder nicht. Oder sei es in Beziehungen, bei denen wir die einen Menschen sehr gerne in unserer „Nähe“ haben, während wir andere lieber auf „Distanz“ halten.

Räumliche Wahrnehmung ist allgegenwärtig und für unsere Orientierung von zentraler Bedeutung. Dies gilt sowohl im physischen wie auch in unserem mentalen Raum. Warum sollte dies auch anders sein? Wir sind dreidimensionale Wesen, die sich in 3D-Räumen bewegen. In allen Bereichen unseres Lebens sind die 3D-Phänomene allgegenwärtig: Wollen wir irgendwo hin, brauchen wir einen inneren Plan, wie wir an unser Ziel kommen. Können wir diesen inneren Weg nicht erkennen, irren wir herum oder gehen erst gar nicht los.

Gehen wir zum Beispiel mit anderen Menschen in Kontakt, bewerten wir dessen Qualität daran, wie respektvoll diese mit unserem persönlichen Raum umgehen. Ob wir uns auf eine Beziehung einlassen können, hängt davon ab, wie „nahe“ wir einen anderen Menschen physisch und mental an uns „heranlassen“.

Auch Zeit ist ein räumliches Phänomen, da wir über die Zeit die räumliche Distanz erschließen, die wir benötigen, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Um ein Gefühl für Zeit zu bekommen, brauchen wir den Raum. Erst durch die Bewegung von einem Ort zum andern entwickeln wir in unserem Leben ein Zeitgefühl. Über diese Bewegung im Raum entwickeln wir auch ein Gefühl für Geschwindigkeit und für Rhythmus, eben dadurch, dass wir uns A nach B bewegen. Unser ganzes Leben findet in einer Raum-Zeit-Dimension statt. Vom ersten Tag an erzeugen wir wie auf einer Perlenschnur Erfahrungen im Hier und Jetzt. Dieses ist schon Sekunden später Vergangenheit und ein neues Hier und Jetzt nimmt diesen Platz ein.

Dieses räumliche Erleben machen wir uns im Coaching zunutze, indem wir mit dem individuellen Zeit- und mental-räumlichem Erleben der Coachees bezogen auf ein konkretes Thema arbeiten.

Um im Beispiel von Sandra und Peter zu bleiben, klärten wir zunächst, wie sie jeweils ihre Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in Bezug auf das berufliche Projekt mentalräumlich erleben und innerlich repräsentieren. Wie zu vermuten, zeigten sich hier zwei völlig unterschiedliche Konzepte.

Das richtige Raum-Zeit-Konzept für erfolgreiche Projektarbeit

Sandra zeigte hier in der Arbeitsplanung eine dissoziierte Zeitwahrnehmung, bei der die Zeitachse von außen betrachtet wird. Dieses sog.  „Through Time-Modell“ ist für Planungszwecke sehr hilfreich, da es der Person einen guten Überblick über die Zeit und die notwendigen Schritte ermöglicht. Gerät jedoch dieser Zeitplan durch Peter unter Druck, erlebt sie die Aufgaben wie einen „kaum zu überwindenden Berg vor sich“ (In-Time), vor dem sie in ihrer Zeitachse steht. Das bedeutet, sie assoziiert sich in diesem Moment in die Zeitachse und die Aufgaben werden übergroß verzerrt.

Auch Peter hat einen Plan von den zu erledigenden Aufgaben. Während der Planungsphase ist er sich mit Sandra auch völlig einig, was wann zu erledigen ist. Jedoch anders als sie erlebt er Zeit als einen „gleichmäßigen Fluss“, in dem die Dinge nacheinander erledigt werden können und alles die Zeit hat, die es braucht.

Mentalräumlich verortete Peter das Teamprojekt auf seiner Zeitachse gut einen halben Meter von seiner Gegenwart entfernt. Sich selbst bezeichnete er als Typ der „ganz im Hier und Jetzt“ lebt. Eine gute Erklärung dafür, warum er so ein entspanntes Verhältnis für seinen Umgang mit Zeit hat.

Für beide war es im Coaching ein wahres „Aha-Erlebnis“, wie unterschiedlich das persönliche Zeiterleben sein kann und wieviel Stress es im Team sowie bei Sandra auslöst, wenn Peter so „bummelt“.

Die Lösung für Sandra bestand darin, innerlich ihren „Arbeitsberg“ in mehrere kleine gut zu handhabende Arbeitspakte zu unterteilen. Wichtig war für sie hierbei, sich die innere Erlaubnis zu geben, berufliche Themen auf ihrer Zeitachse etwas nach „vorne zu verschieben“, sprich einen Ausgleich zwischen ihrer Gegenwarts- und Zukunftsplanung zu finden.

Dadurch, dass sie ihren persönlichen Interessen innerlich mehr „Raum“ zugestand, fand sie hier zu einer neuen Balance. „Das fühlt sich richtig gut an, so, als wenn ich jetzt mehr Luft zum Atmen habe“, erklärte sie noch während des Coachings. Peter wiederum wurde klar, dass er in seinem Arbeitsumfeld mehr Akzeptanz findet, wenn er seine Zukunftsplanung etwas weiter in die Gegenwart verlegt, weil dann auch andere Kollegen dringend benötigte Daten einfach früher erhalten und sich das Team dadurch besser unterstützt fühlt.

„Das Coaching hat uns sehr darin unterstützt, die unterschiedlichen mentalräumlichen Zeitkonzepte des jeweils anderen zu verstehen und diese für unsere Projektarbeit optimal zu verbinden“, lautet das Ergebnis von Sandra und Peter.

Wer die Arbeit von Dr. Lucas Derks live erleben möchte, hat hierzu im November 2023 in einem Workshop bei der Padberg-Beratung in Bonn die Gelegenheit.

[1]Dr. Lucas A.C. Derks, Die Psychologie des mentalen Raumes – Mental Space Psychology, Nijmegen 2020, 2. Auflage 2022, S. 153 ff.

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