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Raus aus der Stressfalle – Den Alltag entspannt erleben

Unser Gehirn hält die Lösung längst bereit

Von Ekkehart Padberg

Entspannt durch den Tag zu gehen, ist für die meisten von uns im Urlaub kein Problem: Wir sorgen für ausreichend Schlaf, lassen die Dinge auf uns zukommen, planen nur wenige Programmpunkte, gönnen uns Pausen, ernähren uns genussvoll und gehen defokussiert durch den Tag. Unser Berufsalltag dagegen ist häufig geprägt von einer dichten Folge von Terminen, Anrufen und Meetings plus der Organisation von Kinderbetreuung, Haushalt und Einkäufen. Von Pause und Entspannung meist keine Spur.

Unser Gehirn hält längst die Lösung dafür bereit, wie wir unseren Alltagsstress bewältigen können. Dabei helfen die neuesten Erkenntnisse aus der Psychologie und Hirnforschung. Und hierbei spielt der Raum als drei-dimensionales Organisationsprinzip unseres Gehirns eine zentrale Rolle.

Der dreidimensionale Raum ist unsere tägliche Lebenserfahrung: Wir bewegen uns in einem solchen Raum, denken, fühlen und erinnern uns räumlich. Unser gesamter Körper sowie die Anordnung unserer Organe bis hin zur Gehirnstruktur ist in 3-D aufgebaut. Raum ist wie Dr. Lucas Derks nachgewiesen hat, das primäre Organisationsprinzip unseres Gehirns.1)2)

Was im ersten Moment so trivial klingt, führt aktuell in der Psychologie zu neuen durchgreifenden Erkenntnissen. Während in der Vergangenheit räumliche Begrifflichkeiten primär als sprachliche Metaphorik verstanden wurden, zeigen die aktuellen Erkenntnisse der Mental Space Psychology (MSP), dass unser Gehirn alle Informationen räumlich verarbeitet und ablegt. Sprachlich bringen wir das z.B. zum Ausdruck durch Sätze wie „Ich habe einen Berg Arbeit vor mir“, „Meinem Chef gegenüber fühle ich mich klein“, genauso wie „Das Projekt habe ich erfolgreich hinter mich gebracht“ oder „Diese Hürde habe ich mit Leichtigkeit genommen.“

Ein Computer läuft immer mit derselben Geschwindigkeit – Unser Gehirn optimiert ständig

Vergleichbar ist dieses Verortungsprinzip mit einer elektronischen Landkarte, auf der an bestimmten Orten Informationen mit Bildern hinterlegt sind. Anders jedoch als bei einer elektronischen Karte, sind in unserer inneren Landkarte zu jedem Ereignis alle Sinneseindrücke, wie Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken sowie die 3-D-Ordnung hinterlegt. Diese Orte in unserem Wahrnehmungsraum werden als eine definierte Zellanordnung gebildet, die neuronal verknüpft ist (Mental Space Indices, MSI). Wie das funktioniert? Denken Sie einfach einmal kurz an Ihr schönstes Urlaubserlebnis. Sofort werden Sie sich an einem bestimmten Ort sehen, bestimmte Geräusche wahrnehmen, ein bestimmtes Gefühl stellt sich ein und Sie verbinden diese Erinnerung vielleicht sogar mit einem bestimmten Geruch oder Geschmack.

Wird eine bestimmte Erfahrung häufiger aktiviert, optimiert unser Gehirn den Weg zur Aktivierung dieser Zellanordnung. Auf diese Weise greifen wir bei vielen Erfahrungen nahezu automatisch auf bestimmte Handlungen, Vorgehensweisen und Bewertungen zurück. Dies ist für eine stabile und intakte Umwelt ein sehr effektiver und effizienter Weg der Informationsverarbeitung.

Diese Optimierungen unsers Gehirns sind im Übrigen einer der großen Vorteile und ggf. Nachteile des Menschen gegenüber einer Computerlösung. Die meisten heutigen Computerprogramme müssen mit ihren Routinen immer einen bestimmten Ablauf einhalten, und die Prozessorgeschwindigkeit definiert das Verarbeitungstempo.

MSI‘s sind die neuronalen Zellanordnungen, in denen alle spezifischen Sinneseindrücke zu einem Ereignis abgelegt sind. Sie werden durch eine spezifische Anordnung von aktivierenden und hemmenden Neurotransmittern erzeugt. Diese werden bei jedem ähnlichen Ereignis wieder aktiviert und damit bestätigt.

Unser Gehirn hingegen versucht jeden bekannten und häufiger genutzten Weg zu verkürzen und so weit zu automatisieren, dass sich unser Wachbewusstsein nicht mehr damit beschäftigen muss. Und viele unserer Routinen werden vom Gehirn ins Unbewusste ausgelagert, so dass wir die meisten unserer tagtäglichen Routinen „abspulen“ ohne uns dessen bewusst zu sein.

Ein Beispiel hierfür ist das Autofahren: Während wir am Anfang in der Fahrschule kaum in der Lage waren, alle Abläufe wie Kuppeln, Schalten, Bremsen, Lenken, Gas geben, den Verkehr beachten etc. gleichzeitig zu handhaben, denken wir meist schon nach kurzer Zeit kaum noch über diese komplexen Handlungen nach. Den Weg zur Arbeit oder nach Hause nehmen wir kaum noch bewusst wahr und denken während der Fahrt bewusst über ganz andere Dinge nach.

Wann unsere Routinen zur Stressfalle werden

Zum Nachteil werden diese Optimierungen, wenn wir auf neue, unbekannte Herausforderungen stoßen. Hier versucht unser Gehirn zunächst mit den bekannten Routinen und Erfahrungen das Problem zu lösen. Gelingt dies nicht, entsteht zunächst eine Irritation. Neurobiologisch reichen bereits 300 Millisekunden (!) aus, in denen unser Gehirn keine Antwort findet, damit diese Wahrnehmung im Bewusstsein auftaucht.

Finden wir nach einer Sekunde keine Antwort, haben wir bereits schlechte Gefühle. Diese aktivieren in uns Bewertungen und Glaubenssätze, die uns helfen sollen, die Irritation zu beenden. Gelingt dies nicht, beginnt eine „Eskalation“, in der auf immer mehr assoziativ verknüpfte Erfahrungen zurückgegriffen wird, um diese Erklärungslücke zu schließen. Je stressvoller diese Erfahrung, desto heftiger ist dabei die Reaktion: Werden in dieser Eskalation alte Stresserlebnisse aktiviert, die auf ähnlichen Wahrnehmungsmustern beruhen, kann dies zu sog. Stuckstates (festgeklebten Zustände) führen, in der die Person im schlimmsten Fall vollständig handlungsunfähig wird.

Doch wie lassen sich solche Irritationen und der Stress auflösen? Auch hier hält unser Gehirn verblüffende Lösungen bereit. Waren und sind Therapeuten in der Vergangenheit bzw. heute noch der Überzeugung, dass ihre KlientInnen stressvolle Erfahrungen Schritt für Schritt in einem langen kognitiven therapeutischen Weg bis in die früheste Kindheit zurückverfolgen müssen, zeigt die aktuelle Forschung, dass es hier deutlich effektivere Wege gibt. Der wichtigste Schritt für unser Gehirn ist hier vor allem, einen Lösungsweg zu finden, der durch die eigene Lebenserfahrung begründet werden kann und inklusive aller Konsequenzen akzeptabel ist.

Mehr Urlaub im Alltag - Bewährte Lösungsstrategien in den Alltag integrieren

Wer kennt das nicht? Unter Stress kommen wir nicht zu der gewünschten Lösung, sondern wir werden meistens noch hektischer, wir fokussieren immer stärker auf das Problem und werden schlimmstenfalls handlungsunfähig. Verantwortlich dafür ist die Tatsache, dass unser Gehirn immer kontextbezogen lernt und jede Erfahrung in den o.g. Mental Space Indices im Gehirn räumlich ablegt. So kommen wir z.B. schlicht nicht auf die Idee, eine Erfahrung aus dem Urlaub im Berufsalltag anzuwenden, weil dies gefühlt erst einmal nicht dorthin gehört. Kognitiv wissen wir zwar, dass es klug wäre, auch im Arbeitsalltag viele Dinge ein wenig entspannter anzugehen. Doch unsere inneren Glaubenssätze, die sich um diesen Kontext herum gebildet haben, verhindern dies. Gehen wir jedoch auf die primäre Wahrnehmungsebene von Sehen, Hören, Fühlen, Riechen und Schmecken, lassen sich zwischen diesen Kontexten Brücken bauen, die zu kongruenten Lösungsstrategien führen.

Um bei unserem Beispiel zu bleiben: Gehe ich im Arbeitsalltag schnell in einen Stresszustand, hat dies üblicherweise mit einer starken Fokussierung des Sehens und einer Erhöhung des inneren Taktes zu tun. Häufig verbunden mit einem stark springenden Fokus. Hinzu kommen leistungsorientierte Glaubenssätze wie z.B. „Das muss ich alles schnell noch erledigen“, „Ich muss immer perfekt sein“, „Ich darf mir keine Pause gönnen.“ Hier gibt es ein großes Spektrum an Konzepten. Nehmen wir dagegen den Urlaubskontext, ist unsere Wahrnehmung oftmals davon geprägt, defokussiert auf die Welt zu schauen. Wir lassen uns Zeit und die Dinge auf uns zukommen. Unser innerer Takt ist eher langsam und wir gönnen uns Pausen.

Praktische Beispiele: „Lösungen lauern überall“

Die Lösung lauert jedoch nicht in unserem stressigen Arbeitskontext, denn sonst hätten wir sie ja längst gefunden. Hilfreiche und praktikable Lösungen finden wir vielmehr in Kontexten, die nichts mit dem belasteten Problem-Kontext zu tun haben, aber primäre Wahrnehmungsmodelle und Denksätze enthalten, die in angepasster Form nutzbar sind. Bei unserem Beispiel könnte dies z.B. so aussehen: Wenn ich gerade dann, wenn viel Arbeit auf mich zukommtdefokussiert bleibe und mir erst einmal einen Überblick verschaffe, kann ich viel besser einen Standpunkt einnehmen, um zu beurteilen, wo ich die Prioritäten setzen muss. Behalte ich meinen ruhigen Rhythmus bei, kann ich die Arbeiten qualitativ gut erledigen und habe keine Nacharbeiten.

Das Beispiel zeigt anschaulich, wie wir Erfahrungen räumlich abbilden, ihnen Ausdruck verleihen und sie unser inneres Erleben prägen. Gleichzeitig macht die Beschreibung deutlich, wie sehr wir auf räumliche und zeitliche Begrifflichkeiten angewiesen sind, um ein Ereignis zu beschreiben. Dabei zeigt sich auch, dass Zeit nicht nur ein Wann ist, sondern auch ein Wo (wo habe ich das erlebt?) und WIE ist (wie habe ich das erlebt?).

Unserem Gehirn ist es dabei egal, woher die Erkenntnis kommt. Denn es reagiert mit denselben Zellen auf eine Vorstellung wie auf tatsächlich Erlebtes. Wesentlich ist, dass diese mit unseren bisherigen Erfahrungen kongruent zusammenpasst und sich auch so anfühlt. Sonst werden diese neuen Erkenntnisse bereits nach kurzer Zeit verworfen.

Keine Veränderung ohne Konsequenzen

Insofern muss eine nachhaltige Veränderung immer auch mit der Bereitschaft verbunden sein, die Konsequenzen einzugehen, die diese neue Erkenntnis erfordert. Dafür muss ich mir die Konsequenzen räumlich vorstellen und mich selbst in diesem veränderten räumlichen Lösungsmodell mit allen Sinnen wahrnehmen können.

Alle Coaches der Padberg-Beratung arbeiten auf der Grundlage dieser aktuellen Erkenntnisse und sind darin geschult, auch komplexe Fragestellungen mit unseren Klientinnen und Klienten auf dieser Basis zu lösen. Auch in den Trainings der Padberg-Beratung sind immer die neuesten Erkenntnisse der Hirnforschung und der Psychologie didaktisch so aufbereitet, dass diese auch für fachfremde Personen einfach nachvollziehbar und nutzbar sind.

Da dieses Thema zahlreiche Aspekte für die Veränderungsarbeit bietet, werden wir in loser Reihenfolge weitere Artikel rund um dieses Themenfeld anbieten.

Hier ein erster Überblick über die folgenden Themen:

Teil 2: MSP in der unternehmerischen Veränderungsarbeit

Teil 3: Hauptsache Musterunterbrechung – Something completely different

Teil 4: Timeline-Arbeit, einer der erfolgreichsten Wege der Veränderungsarbeit

Teil 5: Die Feedforward-Theory: Was passiert eigentlich bei einer Veränderung im Gehirn?

Teil 6: Warum Coaching auch bei Allergien funktioniert

Teil 7: Psychische Gesundheit und Raumerfahrung – Eine echte Liebesbeziehung

1) Dr. Lucas A.C. Derks; Mental Space Psychology – Raum ist das primäre Organisationsprinzip unseres Gehirns, Psychotherapeutischer Nachweis für ein neues Paradigma, Nijmegen, 2020, ISBN/EAN: 9798645883423.


2) Dr. Lucas A.C.Derks: MSD-1, Diagnose im mentalen Raum, Handbuch für das Verständnis psychologischer Prozesse, 2021, Society for Mental Space Psychology (SOMSP), ISBN: 9798718408157. 

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